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er Alltag erscheint uns manchmal wie ein Laufrad und wir mitten drin. Laufen wir nicht schnell genug, befürchten wir, aus dem Takt zu geraten oder komplett aus dem Rad zu fallen. Also rennen wir weiter und weiter. Fleißig arbeiten wir To-Do-Listen ab und hetzen von einem Termin zum nächsten. Ja, der Stress zeigt sich durch Vergesslichkeit, Magenschmerzen und Einschlafprobleme, aber großzügig sehen wir darüber hinweg. Wird schon. Wer möchte schon aufgeben? Es gibt doch so viel zu tun! Gerade Frauen geraten oft in die Falle der Mehrfachbelastung. Sie wollen es allen recht machen, übernehmen sich und jonglieren tagtäglich mit den unterschiedlichsten Aufgabenbereichen. Ein Burnout mit einhergehenden Depressionen ist dann manchmal eine Konsequenz. Doch warum trifft es verstärkt das weibliche Geschlecht? Ein Erklärungsversuch.

Burnout: chronisch erschöpft wegen Mehrfachbelastung

Ein Burnout ist ein chronischer Erschöpfungszustand. Er entsteht nicht über Nacht, sondern baut sich langsam auf. Anfangs bemerken ihn die Betroffenen oft gar nicht, da sie die Symptome einer anderen Ursache zuschreiben. Erst wenn die Leistungsfähigkeit drastisch abnimmt, sich Geist und Körper konstant müde anfühlen und alles einem selbst zu viel wird, erfolgt die Diagnose.

Was auch immer im Detail der Grund für das Burnout ist, stets spielen äußeren und innere Faktoren zusammen. Das heißt: Bestimmte Charakterzüge treffen auf eine dauerhafte Stresssituation, die der Betroffene nur unzureichend oder gar nicht bewältigen kann.

Der Dauerstress mündet dann im Burnout, welches oft von Depressionen begleitet wird. Dauerhafte Stresssituationen sind bei Frauen besonders auffällig. Häufig begründet sich dies über viele Jahre hinweg in einer Mehrfachbelastung. Nicht selten begeben sich die Frauen freiwillig in eine Situation der Überforderung, indem sie eine Vielzahl an Rollen mit Ehrgeiz erfüllen möchten: Mutter, Tochter, Schwiegertochter, Unternehmerin, Ehefrau, Freundin, Hausfrau, Nachbarin. Wie soll das klappen?

Sind traditionelle Geschlechterrollen schuld?

Einige Wissenschaftler meinen, es läge an der Veränderung in den traditionellen Geschlechterrollen, dass Frauen verstärkt zum Burnout neigen. Immerhin spukt in vielen Köpfen immer noch das Bild von der Ehefrau herum, die putzt, kocht und die Kinder hütet. Dann soll sie aber noch den Mann bei seiner Karriere unterstützen und am besten selbst noch (viel) Geld verdienen. In vielen Ländern – und auch in Deutschland – fällt der Gehaltsscheck für Frauen weiterhin niedriger aus als für Männer. Geldsorgen wiederum verschlechtern die Stressresistenz und könnten somit zum Burnout beitragen.

Andere Wissenschaftler setzen ihren Fokus auf typische Charakterzüge, die ein Burnout begünstigen und besonders typisch für Frauen sind. So neigt das weibliche Geschlecht eher zum Perfektionismus.

Gleichzeitig gibt es ein höheres Harmoniebedürfnis und einen stärkeren Druck, die unterschiedlichsten Erwartungen verschiedenster Personen zu erfüllen. Darüber hinaus befinden sich viele Frauen in einem unterschwelligen Kampf gegen sich selbst oder sogar gegen andere, um sich im Alltag zu behaupten. All das kann ermüden und letztlich in eine chronische Erschöpfung münden.

Im Job besonders unter Druck

Viele Frauen setzen sich ganz besonders im Job unter Druck. Sie lernen von Kinderbeinen an, dass sie sich beruflich gegen Männer durchsetzen müssen und keine Fehler machen dürfen. Das würde nur ihre Inkompetenz beweisen, die ihnen stetig unterstellt werden könnte. Aus Angst sind viele weibliche Angestellte daher dreimal so engagiert wie ihre männlichen Kollegen. Sie arbeiten bis zur mentalen und physischen Verausgabung.

Lohngleichheit und gleiche Karrierechancen sind äußere Maßnahmen gegen die Erschöpfung. Darüber hinaus sollte es verstärkt möglich sein, Kind und Karriere zu vereinbaren.

Obgleich es diesbezüglich viele politische Bestrebungen gibt, sind die Möglichkeiten in der Realität immer noch limitiert. Das setzt viele Frauen unter Druck. Manche erfüllen sich wegen der scheinbaren Unvereinbarkeit von Job und Familie nicht ihren Berufswunsch. Sie stecken in einem Job fest, der äußerlich passt, aber nicht zu ihrem Inneren. Auch das stresst.

Und was sagt die Biochemie?

Es ist ein andauerndes Streitthema, ob Männer oder Frauen stressresistenter sind. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, dass beim männlichen Gehirn ein Gewöhnungseffekt nach dem Stresserlebnis schneller auftritt als beim weiblichen Gehirn. Ob das wirklich so stimmt oder nicht, bleibt fraglich (auch, ob dies überhaupt mit Gehirntätigkeiten zu tun hat).

In einer Studie der Universität Wien Fachbereich Psychologie machten die Wissenschaftler eine erstaunliche Beobachtung: Unter Stress konnten die weiblichen Probanden besser zwischen fremd- und selbstbezogenen Emotionen sowie Kognitionen unterscheiden als Männer. Sie waren fähiger, empathisch auf das Gegenüber zu reagieren. Die männlichen Probanden demonstrierten ein Verhaltensmuster, welches sich eher mit den typischen Stressreaktionen Kampf oder Flucht vergleichen lässt. Unter Stress waren sie weniger empathisch und dafür mehr egozentriert. Dies begründeten die Wissenschaftler nicht nur mit kulturellen und erziehungsbedingten Faktoren, sondern auch mit der Biochemie: So würden Frauen unter Stress mehr Oxytocin als Männer ausschütten. Das „Kuschelhormon“ nimmt einen großen Einfluss auf soziale Interaktionen. Sicher, dass Hormone für das unterschiedliche Stressverhalten verantwortlich, sind sich die Wissenschaftler der Uni Wien allerdings nicht. Dafür war die Studie zu klein.

Bessere Stressbewältigung ist die Lösung

Die biologischen und biochemischen Unterschiede von Mann und Frau lassen sich nicht abstreiten. Auch Erziehung und Kultur sowie Gesellschaft prägen die Geschlechter unterschiedlich. Sie lassen sich daher schwer miteinander vergleichen. Sicher ist jedoch, dass eine gute Stressbewältigung vor Burnout schützt und dieses heilen kann. Genau daran sollten Betroffene arbeiten, um sich aus dem Teufelskreis der dauerhaften Erschöpfung zu befreien.

Insbesondere Frauen sind dazu bereit, sich hierfür Hilfe von außen zu holen. Auch das kann mit ein Grund sein, warum die Statistiken zeigen, dass Frauen öfter vom Burnout betroffen sind: Sie geben es eher zu und sind somit statistisch erfassbar.

Wer nach Hilfe fragt, dem kann eher geholfen werden. Dadurch ergeben sich bessere Heilungschancen, denn ein stark ausgeprägtes Burnout-Syndrom lässt sich ohne Hilfe von außen nicht lindern. Ob als Hilfe Freunde, Ehepartner, Selbsthilfegruppe, Arbeitgeber oder ein Arzt dienen, bleibt jedem selbst überlassen.

Wichtig ist nur, frühzeitig auf sich und seinen Körper zu hören. Wo stoße ich an Grenzen? Weshalb stoße ich an Grenzen? Und wie kann ich mich abgrenzen?

Und noch ein Satz zum Schluss: Weder Mann noch Frau müssen sich für ein Burnout schämen. Problematisch wird es nur, wenn dagegen nichts getan wird.

Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:

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Photo by Chau Luong on Unsplash

Publiziert am
Jan 27, 2022
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